
Andrea Riedl, Vertretungsprofessorin für Mittlere und Neue Kirchengeschichte an der Fakultät für Katholische Theologie der Universität Regensburg und Mitglied im Beirat von Geist & Leben, hat in diesem Jahr ein Buch zum Gebet für die Verstorbenen (open access) mitherausgegeben, das verschiedene Perspektiven aus Theologie und Praxis auf das Gebet für die Verstorbenen eröffnet. Für Geist & Leben spricht sie darüber, was sie zur Arbeit an diesem Buch motiviert hat.
Was hat Sie am Thema des Buches interessiert und was können Leser:innen in diesem Buch entdecken?
Worum beten Menschen, wenn sie für ihre Verstorbenen beten? Diese Frage, die wir in dem Buch stellen, berührt ganz unterschiedliche Dimensionen: Einmal steht dahinter das Nachdenken über das Leben nach dem Tod, über das Jenseits und die Hoffnungen und Ängste, die damit verbunden sind. Sie und ich, jeder einzelne Mensch wird diese Frage vielleicht anders für sich beantworten – auch dann, wenn er gläubiger Christ ist und um die Antworten der Bibel und der kirchlichen Tradition weiß, die Trost spenden und ermutigen wollen. Diese Antworten aber sind nicht statisch, sie sind nicht ‚immer schon so gewesen‘. Auch sie haben sich im Laufe der Theologie- und Kirchengeschichte gewandelt und sind mit dem Leben, mit der Welt und mit den Fragen der Menschen mitgewachsen. Das gilt sowohl für das kirchliche Lehramt als auch für die feierliche Bestattungsliturgie, und mehr noch für die literarischen und religiösen Vorstellungswelten der Menschen von dem, was uns nach dem Tod erwartet und wie die Lebenden die Verstorbenen unterstützen können. Die Autor:innen dieses Buches sind Theolog:innen, die sich auf Spurensuche danach begeben, worum Menschen im Angesicht von Sterben und Tod beten, was sie – in Geschichte und Gegenwart – glauben, feiern und hoffen.
Was war Ihnen wichtig in der Planung und Arbeit an dem Buch?
In der Planung des Buches war uns zunächst die ökumenische Ausrichtung wichtig. Gebet und Glaube, Lehramt und Liturgie sind eben nicht nur römisch-katholisch, sondern auch evangelisch-lutherisch, orthodox, orientalisch-orthodox, ostkirchlich-katholisch oder freikirchlich, um nur die kleine Auswahl christlicher Traditionen zu nennen, die zu Wort kommen. Wir legen den Schwerpunkt nicht auf das Totengedenken (das heißt: auf das in-Ehren-Halten und Erinnern der Verstorbenen), sondern fragen nach dem Gebet für die Verstorbenen, womit die religiös-spirituelle Dimension der letzten Lebens- und Glaubensfragen (Eschatologie) und das existentielle Hineingenommensein der Betenden besonders hervorgehoben sind. Zum anderen vereint das Buch Beiträge aus der theologischen Forschung mit solchen aus der Praxis: Theologiegeschichtlich und liturgisch interessierte Leser:innen erfahren mehr über Aspekte des Totengebetes im Frühen Christentum, im Mittelalter und zur Zeit der Reformation sowie über die Feier und Liturgie des Totengebets in ostkirchlichen und westkirchlichen Riten. Sinnperspektiven, die das Beten, Trauern und Fürbittehalten für die Verstorbenen eröffnen, sowie literarische, filmische und kulturwissenschaftlich interessante Zugänge zum Totengebet werden thematisiert. Seelsorger:innen in verschiedenen Kontexten und Aufgabenbereichen und Begleiter:innen von Sterbenden und Angehörigen reflektieren ihr Tun und Gefordertsein in diesem hoch sensiblen, hoffnungsoffenen Begegnungsfeld zwischen Tod und Leben.
Welche Fragen haben sich Ihnen persönlich in der Arbeit an dem Buch zum Gebet für die Verstorbenen gestellt?
Ich glaube, dass das Gebet für die Verstorbenen immer am Leben orientiert ist. Es ist ähnlichen Dynamiken unterworfen, die das Leben mit seinen Beziehungen und den Glauben mit seinen Hoffnungen prägen. Für Verstorbene zu beten hat nicht nur eine lange Tradition in der Geschichte der Kirchen, sondern eröffnet Zugänge zu einer erstaunlichen Vielfalt von Theologien und Eschatologien quer durch die Epochen, Riten und Konfessionen des Christentums. Wie verändert die Gebetsform das Sprechen über den Tod – besonders dann, wenn es sich nicht um den weitgehend theoretischen und abstrakten Tod der Gelehrten, der Medizin und Wissenschaft handelt, sondern um den Tod aus dem Leben, den Beziehungen, der Poetik, der uns sehr viel näher kommt? Wie verändert umgekehrt das Totengebet unser Sprechen und Denken von Gott? Wo liegen Potentiale und Herausforderungen, Chancen und Hindernisse des Gebets für die Verstorbene in der Seelsorge, insbesondere in weitgehend säkularem Umfeld?
An der Universität Regensburg, an der ich tätig bin, gibt es – deutschlandweit einzigartig – das Masterstudium Perimortale Wissenschaften, ein Studiengang, der sich umfassend und interdisziplinär mit Fragen ‚rund um den Tod‘ (peri-mortal) beschäftigt. In einer Lehrveranstaltung benannten Studierende das Gebet für die Verstorbenen als Trauerbewältigung, als Hilfe im Umgang mit Sterben und Tod und Sinn-Option für die Lebenden bzw. Hinterbliebenen. Dies spiegelt sich auch in vielen der Quellen, die unserem Buch zugrunde liegen. Darüber hinaus fand und finde ich es in meiner Arbeit am Buch und in meiner Forschung reizvoll, in die theologischen Fragen rund um den Tod einzutauchen, die Menschen umtreiben: Was ist das für ein Gott, der den Menschen am Jüngsten Tag richtet, für Gerechtigkeit sorgt, ihm ewige Wohnung im Himmelreich anbietet, die Mithilfe des Menschen Zeit seines Lebens einfordert, um die beste aller Welten ansatzhaft bereits auf Erden zu erahnen? Zu beidem gibt es in diesem Buch Vieles zu entdecken. Persönlich finde ich, dass Gebet viel mit Loslassen zu tun hat – im Fall des Totengebets nicht nur den verstorbenen Menschen an sich, sondern auch die Vorstellung oder den Impuls, möglichst Vieles wissen und selbst in der Hand haben zu wollen. Und es hat für mich auch mit Neugierde zu tun: Wir Historiker:innen haben uns verabschiedet von dem Gedanken, herausfinden zu können, „wie die Vergangenheit wirklich gewesen ist“ (Leopold von Ranke). Doch können wir aus der zeitlichen und geschichtlichen Ferne fundierte Aussagen treffen zu dem, wie Menschen ihre Zeit wahrgenommen und ganz konkret gestaltet haben. Als Theologin lässt sich vielleicht Ähnliches über die Zukunft, die eschatologischen „Letzten Dinge“ sagen: Nicht „wie es wirklich sein wird“, sondern wie Menschen ihre Zukunft wahrnehmen und danach bereits ihre Gegenwart fundiert und begründet gestalten, ist mit Blick auf das Gebet für die Verstorbenen Gegenstand dieses Buches.
Wie und wo kann das Buch erworben werden?
Das Buch steht kostenfrei über die Website des Aschendorff-Verlages zum Download bereit oder kann ebendort online sowie in Fachbuchhandlungen zum Preis von 69.00 Euro erworben werden.
Zum Weiterlesen: Riedl, Andrea: Rückendeckung. Für Verstorbene beten, in: Stimmen der Zeit 3/2025, 195-201.
